»Turnaround! - Kreisverkehr im Halbdunkel« | zu einem fast öffentlichen DGB-Strategiepapier [artikel]

> artikel ND/labournet [0505]

Wie ein Geheim-Papier belegt will sich der DGB von Oben her aus einer Mitglieder-Krise ziehen, die von der Führung vor allem als Problem der Organisationsführung wahrgenommen wird. Das unter Verschluss gehaltene Konzept hierzu (in bester Managment- Sprache als: „Turnaround!“-Papier bezeichnet) ist nun veröffentlicht – doch nicht von der Gewerkschaft.
Zwischen 1991 und 2003 haben die im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften bekanntermaßen 4,4 Millionen Mitglieder, mehr als ein Drittel, verloren. Insbesondere wurde der gesamte Mitglieder.-Zugewinn, der durch die deutsche Vereinigung entstand wieder verbrannt. Eine jetzt im Internet zugängliche gewerkschaftseigene Studie, die „nur für den internen Gebrauch“ gedacht war, geht von einem anhaltenden Mitgliederverlust bis 4,5% pro Jahr aus. Ursprünglich hervorgegangen aus einem Antrag zur Organisationspolitik von IGBCE, IG Metall und ver.di für den DGB Bundeskongress 1998, mit der Zielbestimmung „die Zukunft der Gewerkschaften durch gemeinsames Handeln, bessere und neu justierte Zusammenarbeit sowie Koordination zu sichern“ wurde das Papier in einer Arbeitsgruppe mit dem Namen „Mittelfristige Finanzplanung” weiter bearbeitet. Die in Folge dann zur „Planungsgruppe Weiterentwicklung des DGB” ausgebaute 18-köpfige Expertengruppe arbeitete nunmehr jenseits aller innergewerkschaftlichen Öffentlichkeit am „Auftrag, eine fundierte Analyse und ein Konzept zur Weiterentwicklung des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften zu erstellen“. Die Existenz und Stoßrichtung dieses geheimen Papiers sorgte, während führende IGM-Vertreter noch die Existenz der Arbeitsgruppe abstritten, im Februar für einige Pressemeldungen (ND 11.3.05 berichtete). Ãœber die genauen Inhalte des Papiers erfuhren selbst Funktionäre und Hauptamtliche wenig. Ãœber Medien wie die Tageshemen, Die Zeit u.a. wurden allerdings in einem 25-seitigen Auszug allgemeine Orientierung und einige Punkte der „geheimen Treffs der Chef-AG“ Öffentlich wurde die Stoßrichtung des Papiers, nach der neuen Zielgruppen bessere „Serviceleistungen“ angeboten werden sollten, „etwa Karriere- und Weiterbildungsberatung“ sowie „kompetente Jobvermittlung“, oder auch „eine private Arbeitslosen-Versicherung für Gewerkschaftsmitglieder“. Mehrere DGB-Landesbezirksvorsitzende werteten die Vorschläge als “positiv und richtungsweisend”, ohne dass das Papier jedoch Gewerkschaftsmitgliedern und – aktivisten zugänglich war. So überrascht eine zeitgleich veröffentlichte Studie der Hans-Böckler- Stiftung nicht (Arbeitspapier 44). Demnach teilen unter den Mitgliedern etwa in Sachsen 56,8% die Aussage „Die IG Metall kümmert sich nicht viel darum, was Leute wie ich denken“, unter den aktiven Funktionären sind es sogar 75,2 %. Seit Mitte April ist das Turnaround-Papier nun allerdings auf der Internetplattform „Labournet.de“ in einer Fassung vom 25.1.05 verlinkt. Laut Chefredakteurin Mag Wompel bekunden seitdem 2000 Downloads das Interesse der kritischen Mitgliedschaft an der Studie zur Zukunftsfähigkeit der eigenen Organisation. Auf diesem Umweg findet das Papier nun auch klandestinen Eingang in die Mitgliedschaft: So hat der Fachbereich Handel von verdi Baden-Würtemberg etwa in seinem Archiv einen Verweis auf dieses Dokument. Das jetzt öffentliche 61 Seiten umfassende Papier wurde neben neben Vertretern verschiedener DGB-Ebenen und Gewerkschaften sowie des Gesamtbetriebsrates des DGB maßgeblich von dem McKinsey-Direktor und Spezialisten für „Leadership und Organisation“ Dr. Michael Jung miterarbeitet, der es auch dem DGB-Bundesvorstand präsentierte. Es belegt die eingeschlagene Orientierung auf organisatorische Lösungen. So wird nüchtern festgestellt: „Es existieren keine mitreißenden Zielkonzeptionen zur Bewältigung des Strukturwandels (Krise Sozialstaat, Arbeitslosigkeit, Wissenswirtschaft, Globalisierung).“ Laut der Planungsgruppe, der einige Führungsmitglieder der Gewerkschaften angehören, soll sich die Gewerkschaftsbewegung vor dem Hintergrund einer anhaltenden „Dauerdefensive“ darüber Gedanken machen, “welche Arbeiten künftig aus dem gewerkschaftlichen Tätigkeitskatalog gestrichen werden”. Offensive und gestaltende Ansätze zeigt das Papier hingegen nur in der Frage des Ausbaus von Serviceleistungen, der forcierten Konzentration auf institutionalisierte Betriebsratsarbeit und der Erschließung bisher schwach Organisierter geographischer Regionen. Zentrale Achse ist für das Papier die „Führbarkeit der Gesmtorganisation und Führungsstärke der Verantwortlichen“ sowie ein „effektives Resourcenmanagment“. So wird empfohlen „die Führungs- und Managementaufgaben erheblich zu professionalisieren“. Neben einer vage ausgeführten inhaltlichen „Schärfung des Koordinatensystems“ steht der dringende Vorschlag, die 7 Mio. Mitglieder umfassende „Datenbasis“ für eine „Mitgliederpotentialanalyse“ zu nutzen, um „empirisch abgesichert Zielgruppen-gerechte und neue Leistungen“ zu entwickeln. Genannt wird die Möglichkeit der Einrichtung von Call-Centern zur Beratung von Arbeitnehmern oder etwa ein Service-Angebot im Bereich „Work-Life-Balance“. Allerdings verrät das Papier doch unter der Hand eine eindeutige politische Handschrift. Vorgeschlagen wird etwa nicht weniger als eine „Neuausrichtung im Selbstverständnis und in der Darstellung der Gewerkschaften“. Diese sollten sich primär als „Spezialisten für Arbeitsbeziehungen in Unternehmen“ und „Partner der Arbeitswelten über den einzelnen Betrieb hinweg“ verstehen.
Das Papier unterstreicht eine Schwäche, die aus den politischen und unternehmerischen Angriffen neu entstandenen Beschäftigungsgruppen nicht „nachhaltig“ organisieren zu können. „Selbst in Traditionsbranchen und Betrieben schmilzt die Fähigkeit, Mitglieder zu binden, auf breiter Front.“ Statt einer kritische Bilanz der bisherigen Gewerkschaftspolitik finden sich die Krisensymptome vielmehr als soziologische Tatsachenbeschreibungen wieder: Konstatiert wird kommentarlos, dass „die Milieus, in denen eine Gewerkschaftsmitgliedschaft für lange Zeiten selbstverständlich schien, zerfallen“ und eine andauernde „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ stattfinde. Anstelle einer gewerkschaftspolitischen Antwort steht die Orientierung hierfür ein „passgenau darauf zugeschnittenes Serviceangebot“ zu entwickeln. Ob vorgeschlagene neue Themen wie Miteigentum, Arbeitszeitflexibilisierung und „Verknüpfung von Bildung und Innovation in Wirtschaftsräumen“ im Angesicht von Massenarbeitslosigkeit, entrechteten Arbeitsgelegenheiten, allgemeiner Prekarisierung und der politischen Kampfansage zur Beschränkung des Tarifrechts verfangen bleibt wohl eher fraglich. Wie weit organisatorische Blindheit im Angesicht einer auf reine Mitgliedszahlen fixierten Organisations-Analyse reichen kann wird deutlich, wenn das Papier „imageträchtige“, aber bislang unkommunizierte „Erfolge der Gewerkschaften (wie etwa in der Tarifpolitik)“ ausmacht. Ob diejenigen Gewerkschafter, die das ranghohe Papier jetzt über das Labournet zur Verfügung gestellt bekommen, sich dazu öffentlich äußern, sollten sie zweimal überlegen: Schließlich stellt das Papier auch fest: „öffentliche Meinungsäußerungen werden als Richtungsstreit wahrgenommen“. http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/real/index.html

[-erschienen in: Neues Deutschland. 27.5.2005. »Kreisverkehr im Halbdunkel«]



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