Mapping Cognition : zur Re-Konstruktion der Epistemologie im Zeitalter anthropo-technischer Räume [talk]
:: talk @ »Eine Metapher wie alle anderen? ‘Mapping’ und Kartographie in der Literatur und den Kulturwissenschaften« | Université de Provence, Limoges | 25.27.11.2010veranstaltet von: Forschungsgruppen “EHIC” (Espaces humains et interactions culturelles), Université de Limoges; GEOLAB (Géographie physique et environnementale) und “ECHANGES” (Equipe sur les cultures et humanités anciennes et nouvelles germaniques et slaves)
– proposal/abstract des vortrages [click to expand]:
I. Die Voraussetzung: …
Die Konjunktur des »Mapping«-Begriffs in den Geistes- und Sozialwissenschaften kann prima facie vor dem Hintergrund einer vierfachen, theorie-verschiebenden »Tektonik« her verstanden werden:
a) dem ‘Spatial’ oder ‘Topological Turn’ – also eines erneuerten Interesses für Raumordnungen und -aspekte, komplexer Reterritorialisierungen und abstrakter wie konkreter Prozesse im Zuge der Globalisierung sowie deren Kartierung(en);
b) dem Wirksamwerden des ‘Second Media Age’ (Mark Poster) mitsamt seinen neuen Möglichkeiten des dynamischen Daten- und Informationsmappings: individualisierbare/kombinierbare Datenbanken, enorme Vervielfachung algorithmischer Abbildungen und Transformationen im digitalen Datenraum – all dies in Kombination mit den neuen technischen Möglichkeiten von locative media, GPS/Geotagging, Earth Viewing, etc.;
c) einer – teilweise ethisch-politischen – Aufmerksamkeit für situierte, verkörperte Akteure und dem damit verbundenen Interesse an verschiedenen operationalen Formen der (Re-)Positionierung in komplexen physischen, kognitiven, diskursiven und sozio-kulturellen Umgebungen – v.a. mit Blick auf die Herstellung von ebenso kognitiven wie kreativen ‘Ãœbersichten’ – Konspekten, Scribbles, Registern etc.
d) hieran schliessen sich in der Folge auch »höher-stufige« methodische Ansätze an, die sich der Metapher des »Mappings« auch auf der Ebene ‘abgeleiteter Sinnprozesse’ bedienen und diese elaborieren. An ’starken Programmen’ sind hier – neben eher unbestimmten Varianten des »Mind-« und »Concept Mappings« – v.a. zwei zu nennen: das in den Literaturwissenschaften verortete »Cross-Mapping« (E. Bronfen) als aufsuchender Ãœbertragung von literarischen Topoi; und Fredéric Jamesons Cognitive Mapping im Sinne einer politischen, ästhetischen wie kognitiven Orientierung für soziale/politische Akteure im Rahmen des transnationalen Kapitalismus.
Viele praktische Instanzen und Anwendungen des Mapping-Konzepts fallen in verschiedene Intersektionen dieser unterscheidbaren Groß-Kontexte: urban maps, internet geography, gene maps, InfraMaps, positional interfaces, risk maps etc.
Zudem ist die ‘Karte’ als Archetyp und Dispositiv gleichzeitig selber eingebunden in einen technisch-strukturellen Wandel, der die Kartographie über ihre geographische Ursprungs-Domäne migrieren läßt und der die eingangs genannten Veränderungen wiederum in das Meta-Medium »Karte« zurückspielt. Der technisch-mediale Wandel schlägt sich somit auch in der ubiquitären und sich ausdifferenzierenden Verbreitung verschiedener Karten-Typen (Google-Maps, Open-Street-Map, Navigations-Applikationen, Geotagging-/GPS-Basierte-Social-Media-Sites, Photo-Tagging, etc.) im Rahmen der aktuellen Orientierungspraktiken in anthropotechnischen Räumen nieder. Somit greift die Evolution des Dispositivs ‘Karte’ wieder rückwirkend in die kognitiven Praktiken und Muster menschlicher Akteure zurück.
Mit dem Aufstieg des Mapping-Konzepts verbindet sich so auf der Ebene der Theoriereflektion – etwa in Verbdingung mit neuen, im weiteren Sinne anthropologischen Theorien wie der »Extended Mind Theory« (A. Clark, D. Chalmers; D. Engelbart) , der Theorie der »material-semiotic actors« (K. Hayles, B. Latour, J. Law, D. Haraway) – eine umfassende Neubewertung von epistemologischen, deutungs- und orientierungsrelevanten Begriffen. ‘Mapping’ verweist so heute vor allem auf kognitive Navigationssysteme aller Art und wird zumeist als eine semiologische wie strategische, operationale wie performative Technik des Ordnens, der Vermessung, der Selbst-Verortung und der Ãœbersetzung verstanden.
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II. Das Programm: …
Es wäre nun interessant und fruchtbar ausgehend von einer solchen Theorie-Topographie und ihrer Blickeinstellung ein Cross-Mapping durchführen, das insbesondere Theorieansätze mit in den Blick bringt, die bislang eher selten oder nur in unbestimmter Form im Rahmen des Mapping-Diskurses auftauchen und die sich – ähnlich wie Jamesons Cognitive Mapping – allesamt der Theorifiguren der Karte und der Kartierung bedienen und an der Frage einer kritischen, sozio-kulturellen Epistemologie anthropotechnischer Räume und aktiver, sozialer Selbst-Verortung unter den o.g. Vorzeichen abarbeiten. Gedacht ist hier in erster Linie an: die Kinethek Michel Serres (Atlas), Pierre Lévy Ìs Konzept der kinetischen Karte (Die kollektive Intelligenz) und Donna Harraway Ìs – an verschiedenen Stellen auffindbares – Konzept des Re-Mappings (der kritisch auszulesenden Tropen der „semiotic fabric of technoscience culture“) und ihrer ‘Fiction Mappings’ und ‘Travelogues’ der “material and cultural grids”, samt ihrer kritischen Anerkennung der Karte (Map) als “the chief tool-metaphor of technoscience.â€
Mit dieser Fokussierung auf allgemeine, teilweise epistemologisch orientierte Theorieprogramme, die sich an zentraler Stelle systematisch und programmatisch auf ebenso komplexe wie abstrahierte Konzepte der Karte und Kartierung beziehen, ist eine weitergehende These impliziert und die Möglichkeit einer Blickumstellung angezeigt: gerade in einer bislang weniger thematisierten allgemein-epistemologischen Bedeutungs-Dimension des Mapping-Konzeptes – das sich v.a. an eine ‘kritische Phänomenologie’ und Theorien ‘anthropologischer Räume’ anschliesst – liegt ein Großteil der über die Geographie in die sog. Humanities« unbd Geistes– und Kulturwissenschaften hinausreichenden Attraktivität des Mapping-Diskurses (– wie auf ihrer Folie umgekehrt auch nach den im engeren Sinne epistemologischen Implikationen und Potentialen der geographischen Kartographie und ihrer philosophisch wirksamen Relevanzen gefragt werden kann). Die genannten, ihrer Theorieprovenienz nach unterscheidlichen Programme, verbindet gerade in der Theorie-Vermittlung der Konzepte der Kartografie und des Mappings eines: eine systematische Präferenz des Visuellen, Ikonischen, Perspektivischen, der (material-medialen) Ãœbersetzung und Transkriptionen, hybrider Semiologien und positionaler Praktiken – diese treten anstelle von propositionaler Rationalität, homogen-eindeutigen Wissensräumen, ausgezeichneten Formen des Meta-Wissens, objektivistischen oder reflexiv-kontemplativen Denken-Formen, Praxis-Theorie-Dualismen u.a. Tiefen-Topoi der Geisteswissenschaften.
Im Horizont dieser Konstellation und Blickrichtung lassen sich so in einem weiteren Revisionsschritt so auch einige – im engeren Sinne epistemologische – Ansätze orten, re-evaluieren und re-aktivieren die Formen eines epistemologisch-kognitiven ‘Mapping’-Begriffs (zum Teil in Form verwandter Begrifflichkeiten wie denen der »Figuration«, der »Konstellation«, des »Wahrnehmungs-Schlüssels«) bereits vor der aktuellen Konjunktur des Mapping-Begriffs als Grundform und -stil menschlicher Erkenntnisfähigkeit und -tätigkeit avancierten und die genannten epistemologischen Präferenzen teilen: hierunter fallen etwa Ideen Merleau-Pontys zu einer Erkenntnis durch die ‘partielle Adäquation’ (das Mapping, einzelner materiell verkörperter, in sich symbolischer Erkenntnisbereiche und -Medien); die Benjamin´sche Idee der bezeichnenden Wahrnehmung als auswählende Konfiguration vorhandener Figurationen sowie Aby Warburgs ‘visuelle Konstellationen’; oder die frühen Arbeiten von David Stea zu ‘kognitiven Karten’.
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III. Die Relevanz: …
Mit einer solchen epistemologischen Rekonstruktion des Mapping-Begriffs, die sich dem Verständnis kartographischer Notwendigkeiten und Realitäten komplexer, multi-dimensionaler und uneindeutiger (bzw. mehrdeutiger) anthropotechnischer Räume bewusst ist und deren Theoritisierungen miteinbezieht, kann den eingangs genannten vier Groß-Kontexten ein fünfter hinzugefügt werden, der die methodische wie theoretische Tragweite des Mapping-Konzeptes auch epistemologisch absichert.
– Interessanterweise zeichnen sich heute in der aktuellen Kognitions- und Hirnforschung auch auf der physiologisch-biologischen Ebene Theorie- und Erklärungsmodelle ab, die Wahrnehmungs- und Denkprozesse nicht nur in der Übertragung aus der Domäne der Kartographie sondern auch auf einer grundlegend epistemologischen Ebene als »Mappings« verstehen, wenn sie sich auf funktionell kohärente und synchronisierte Ensembles und die Bindungsmuster verteilter Hirnareale konzentrieren (s. etwa W. Singer). Auch die Metaphorical Mappings der Embodied Cognitive Science (G. Lakoff, M. Johnson, P. Gardenfors u.a.) deuten darauf hin, dass eine solche wahlweise als kognitiv oder epistemologisch zu verstehende Aufarbeitung des Mapping-Begriffs dringend geboten ist.
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