Zerklüftete Zukunft – Sonderwirtschaftzonen: Räume und Ränder des künftigen Kapitalismus [text]
> programm-text | co.autor [0703]
Konzeptpapier zur beantragten Reihe von Film-und Diskussionsveranstaltungen im Rahmen von „Work in Progress“ (gemeinsame arbeitsgruppe globale Filmfestival und laborB*)
I.
Globalisierung erschien anfänglich noch als Versprechen der Entwicklung hin zu einer prosperierend-mondänen Weltgesellschaft. Heute stellt sie sich, v.a. in ihrer Dimension als wesentlich global organisierte Arbeitswelt, zynischerweise in Form zunehmender und neuer räumlicher Verwerfungen dar. Die Gleichzeitigkeit globaler Arbeitsteilung, einer globalisierten Konkurrenzsituation und der Zerklüftung der Weltgesellschaft entlang von Räumen der Arbeit (sowie Nicht-Arbeit oder entrechteter Arbeit) sind Kennzeichen der neuen Zeit. Es entstehen zahlreiche, neu-codierte Sonderräume der Arbeit, welche gesellschaftliche Verwerfungen begleiten, verursachen oder ausdrücken. Die »Zukunft der Vergangenheit«, wie sie uns bis vor kurzem noch die Bild- und Vorstellungswelt von Science-Fiction und »Cyberpunk« vorführte – Enklaven verrohter Arbeit, insulare Zwangsgemeinschaften verschiedener Art inmitten von High-Tech-Infrastrukturen, soziales Elend mitten im pyramidalen Reichtum – ist mittlerweile in unserer Gegenwart angekommen: als möglicher Gegenstand verschiedener filmischer, dokumentarischer und politischer Explorationen.
II.
Die Geschichte der sog. »Sonderwirtschaftszonen«, die sich mit Ankunft des neoliberalen Modells seit den 80er Jahren vor allem in den Schwellenländern entwickelten, und die mittlerweile fester Bestandteil des Inventars »unserer« globalen Ökonomie sind, bringen diese neue Raumordnung aufs Exempel und auf den Begriff. Diese neuen Raumgrößen sind symptomatisch – in einem durchaus medizinischen Sinne; zeigen sie doch gleichzeitig ein grundsätzlicheres, nicht gänzlich neues Problem des kapitalistischen Betriebssystems an: soziale Trennung und Ungleichheit, verwirklicht als räumliche; zugleich zeigen sie aber auch momentan wesentliche Entwicklungslinien an: etwa die besondere, partikuläre Verrechtlichung (oder Entrechtung) dieser Räume, oder Mechanismen zunehmender lokaler Steuerung und Reglementierung einer im Großen ungeplanten, marodierenden Produktion. Die neue Konjunktur von Grenzziehungen und Lagersituationen hat in diesen »Sonderwirtschaftszonen« ihren sinnfälligen ökonomischen Ausdruck … ja, vielleicht ja sogar eine ihrer Quellen. Von diesen Raumgebilden, die das Leben vieler Menschen strukturieren, profitieren in einem nachhaltigen Sinne neben den marktwirtschaftlich-globalisierten »Wettbewerbsstaaten« vor allem transnationale Konzerne – seltener diejenigen, die dort massenhaft lohnarbeiten. Ãœber Kaskaden von Outsourcing und Zulieferketten vermittelt, ist die Logik dieser »Sonderwirtschaftszonen« aber auch in Herz und Seele der Warenkörper der Industriestaaten, der EU und auch der BRD, eingezeichnet. Zudem findet die grundsätzliche Logik wirtschaftlicher Sonderräume hier eine Verlängerung, ihre logischen Äquivalente und ihre seltsamen Travestien; etwa in nicht-deklarierten Sonderwirtschaftszonen – wie den Obstfeldern Südeuropas –, oder den auch hierzulande bekannten workfare-»Arbeitsmärkten«. Kurz: Die »Sonderwirtschaftszone« scheint eine der instruktiven »absoluten Metaphern« des globalen Kapitalismus zu sein, in seiner ungerechten Gegenwart wie seiner zerklüfteten Zukunft.
III.
Das Verhältnis von marktwirtschaftlicher Landgreifung und denen eines re-internationalisierten Proletariats ist dabei oft intimer und vertrackter als der erste Blick vermuten läßt: Regionale Sonderkonjunkturen, Kämpfe um gewerkschaftliche Rechte im veralteten nationalen Rahmen, Konflikte zwischen gewachsenen kulturellen und aufgesetzten ökonomischen Räumen, mehrfache und strategische Verlagerungen… Und neben einer neuen Mobilität, die oft als zynische »Freisetzung« stattfindet bzw. erlebt wird, bringt die freie Marktwirtschaft auf ihrem weltweiten »Siegeszug« hier gleichzeitig neue Räume der forcierten Bewegungslosigkeit hervor: moderne Arbeitslager, Meldepflichten, neue nicht-staatliche Grenzen und die Aufrüstung regionaler Grenzregime, fehlende Mobilitäts-Ressourcen etc.. Staatsbürgerschaft und ihre verbrieften Rechte, auf globaler Ebene ohnehin eine Chimäre, gilt in diesen Sonderräumen nicht als bestimmende Größe. Einem System modernster Produktions- und Handelsketten werden so oftmals neo- archaische Lebensformen zur Seite gestellt; lokale und globale Logiken treten in eine neue, kurzgeschlossene Wechselwirkung und bestimmen die neuen Bedingungen, Schwierigkeiten und Aufgaben kollektiver, insbesondere gewerkschaflticher Handlungsfähigkeit. Auf diesem vorgegebenen Feld einen gerechten, solidarischen Raum zu schaffen, ist eine der Kernaufgaben und Anliegen emanzipatorischer Bewegungen. »Solidarität«, als Antipode des sozialen Wettbewerbs, hatte schon immer auch eine räumliche Bestimmung: Gemeinsamkeit über räumliche Distanz und Trennung zu fordern, zu behaupten und zu praktizieren. IV.All diese Topologien sichtbar zu machen, analytisch wie auch visionär, unter Auslotung der Möglichkeiten einer Gerechtigkeit des Raumes ist Ziel des Formats “Zerklüftete Zukunft. Sonderwirtschaftszonen: Räume und Ränder kapitalistischer Arbeit”. Wo die Selbstlokalisierung in diesen, von verschlungenen Arbeits- und Produktströmen reorganisierten Räumen immer schwieriger wird, bietet sich Film – verbunden mit einer engagierten, sich positionierenden Perspektive - vielleicht als das adäquate Medium für eine gesellschaftliche Verortung an – und zwar in einem politisch verstandenen “trotz allem” im Angesicht wachsender räumlicher Zerklüftungen. Film ist seinem Wesen und seiner Verwendung nach global und zudem Teil des technischen, ikonischen und ideologischen Apparats der Globalisierung; Film verbindet visuelle mit analytische Moeglichkeiten: Schnitt, Montage, Kadrierung, Zoom sind kreative ebenso wie analytische Praktiken, die sich am Fragmentarischen, gleichzeitig jedoch stets auch an der Utopie einer Einheit abarbeiten; und seinen Möglichkeiten nach ist das Medium offen für einen Platzwechsel zwischen Produzenten, Protagonisten und Zuschauern. Film erlaubt ein dynamisches und feinaufgelöstes Mapping der arbeitsbezogenen globalen Sonder-Räume – bis vor unsere Haustür. Und Film ist – nicht zuletzt – auch ein bevorzugtes Werkzeug im Arsenal der Anstrengungen derer, die an raum- und grenzübergreifende Solidarität glauben.